Im ABW-Interview spricht die Generaldirektorin des Wiener Gesundheitsverbundes über Wartezeiten, Personalbelastung und die nächsten Innovationsschritte für unser Gesundheitssystem.
Welche Ziele haben Sie sich für das Jahr 2026 gesetzt, um die Pflege- und Gesundheitsversorgung in Wien langfristig zu stabilisieren?
Mein Fokus liegt auf drei Schwerpunkten: Erstens: Versorgungssicherheit. Das bedeutet stabile Strukturen, klare Abläufe und eine enge Zusammenarbeit mit Rettungs- und Akutdiensten. Wien soll auch in Zukunft auf ein starkes, verlässliches und leistungsfähiges öffentliches Gesundheitssystem bauen können.
Der Wiener Gesundheitsverbund ist das Rückgrat dieser Versorgung. Alle 2,5 Minuten bringt die Wiener Berufsrettung Patienten in eine unserer Kliniken. Drei von vier Spitalsbehandlungen in Wien finden in Kliniken des Wiener Gesundheitsverbundes statt. Das zeigt, welche Verantwortung wir tragen. Ein weiterer Schwerpunkt liegt auf der Ausbildung und Entwicklung unserer Mitarbeiter. Als größter Ausbilder im Gesundheitsbereich sichern wir die Fachkräfte von morgen. Wir bieten 8.200 Ausbildungsplätze in Medizin und Pflege.
In unserer Akademie für Fort- und Sonderausbildungen haben im Jahr 2024 rund 4.600 Personen an Weiterbildungen teilgenommen. Diese konsequente Investition in Wissen ist die beste Zukunftssicherung. Drittens setzen wir auf Modernisierung und Innovation. Das reicht von der Ausbildung über die Digitalisierung bis zu unserem Bauprogramm. Damit schaffen wir moderne Arbeitsbedingungen und sichern Spitzenmedizin für Wien.
„2026 werden wir den Fokus weiterhin auf digitale und nachhaltige Innovationen legen.“
Die Kooperation zwischen dem Wiener Gesundheitsverbund und den Privatkliniken der Mavie Med wurde mit dem Ziel ins Leben gerufen, die Wartezeiten für planbare Eingriffe zu verkürzen. Wie beurteilen Sie dieses Modell im Rückblick und welche Weiterentwicklungen planen Sie für 2026?
Die Zusammenarbeit mit den Privatspitälern ist ein bewährtes Modell aus der Pandemiezeit und ein zusätzlicher Baustein, um Patientinnen und Patienten mit planbaren Eingriffen schneller zu versorgen. Seit 2025 kooperieren wir mit Mavie Med, dem Rudolfinerhaus, der Wiener Privatklinik und dem Evangelischen Krankenhaus. Die Eingriffe werden von unseren eigenen Ärzten und Anästhesisten durchgeführt.
Das ist organisatorisch anspruchsvoll, hilft uns aber genau dort, wo die Nachfrage besonders hoch ist. Wie bereits erwähnt, ist es nur ein Baustein von vielen, wenn es darum geht, Wartezeiten zu managen. In unseren Kliniken setzen wir auf ein gutes OP-Management, längere OP-Betriebszeiten und eine enge Abstimmung zwischen den Kliniken. Diese Maßnahmen zeigen bereits Wirkung: In einigen Bereichen sind die Wartezeiten deutlich gesunken.
An diesen Erfolg wollen wir 2026 anknüpfen. Wir orientieren uns an den aktuellen Zahlen, gleichen Kapazitäten ab und nutzen freie Ressourcen im Verbund bestmöglich aus. Für Patientinnen und Patienten soll das vor allem eines bringen: planbare Eingriffe ohne unnötige Verzögerungen. Die Wartezeitenübersicht ist dabei eine große Hilfe, da wir so Entwicklungen früh erkennen und rasch reagieren können.
Welche Innovation würden Sie persönlich im Jahr 2025 als „Game-Changer“ bezeichnen und mit welchem Schwerpunkt wollen Sie 2026 den Innovationsfluss verstärken?
Ein bedeutender Game-Changer aus der Medizintechnik sind die Da-Vinci-Operationssysteme, also OP-Roboter, die wir bald in all unseren Kliniken einsetzen werden. Sie ermöglichen besonders präzise und schonende Eingriffe und tragen dazu bei, dass Patientinnen und Patienten heute oft weniger Tage im Krankenhaus verbringen müssen.
Ein weiteres Beispiel sind topmoderne Geräte wie die biplanare Angiographie-Anlage in der Klinik Landstraße oder das neue MRT-Gerät in der Klinik Donaustadt. Letzteres erweitert unsere Möglichkeiten bei der Diagnose und Therapieplanung enorm und macht Eingriffe noch schonender. Gleichzeitig ist klar: Auch die beste Technik entfaltet ihren Nutzen erst in Kombination mit der Erfahrung und Professionalität unserer Teams. Ein OP-Roboter ersetzt keine chirurgische Expertise, sondern erweitert die Fähigkeiten eines gut eingespielten OP-Teams und hilft uns dabei, Ressourcen effizient einzusetzen.
An meiner Antwort merken Sie: Im Wiener Gesundheitsverbund gibt es nicht den einen Game-Changer, sondern viele. Manche kommen aus der Medizintechnik, andere direkt aus den Teams. Projekte wie die Einrichtung der Überleitpflege oder multiprofessionelle Simulationstrainings für kritische Notfälle zeigen gut, wie viel praktische Innovation bereits im Alltag entsteht. 2026 werden wir den Fokus weiterhin auf digitale und nachhaltige Innovationen legen: KI-gestützte Diagnostik, vernetzte Services für Patienten und sichere IT-Strukturen. Gleichzeitig investieren wir in Bau- und Energieprojekte, die ökologisch sinnvoll und medizinisch notwendig sind. Für uns bedeutet Innovation, die Versorgung Schritt für Schritt zu verbessern. Verlässlich und mit spürbarem Nutzen für die Menschen in Wien.
„Wir schaffen moderne Arbeitsbedingungen und sichern Spitzenmedizin für Wien.“
Hohe Belastungen für das Gesundheits- und Pflegepersonal sind ein wiederkehrendes Thema. Was war 2025 ein wichtiger Fortschritt und worauf wollen Sie 2026 den Fokus legen, um die Attraktivität des Arbeitsumfelds weiter zu steigern?
Unsere rund 30.000 Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter sind das Herz der Wiener Gesundheitsversorgung. Ihre Arbeit ist anspruchsvoll und verlangt neben einer erstklassigen Ausbildung auch Engagement und Belastbarkeit. Deshalb setzen wir ständig weitere Schritte in puncto Mitarbeiterschutz – auch 2025. Einer davon ist das Projekt „Psychische Erste Hilfe für alle Mitarbeitenden im Wiener Gesundheitsverbund“.
Ein Unterstützungsangebot, das europaweit einzigartig ist. Es hilft Kolleginnen und Kollegen nach belastenden Ereignissen, psychische Folgen zu vermeiden und rasch wieder Stabilität zu gewinnen. Seit 2025 läuft die Einführung in allen Kliniken. Auch das Sicherheitsboard für Gewaltprävention und Aggressionsmanagement trägt wesentlich zur Sicherheit bei. Es definiert klare Standards und Meldewege, sammelt laufend Daten und hilft uns, Risiken früh zu erkennen und gezielt gegenzusteuern. Hierbei geht es nicht um Einzelmaßnahmen, sondern um eine konsequente und kontinuierliche Umsetzung und Evaluation.
Wir arbeiten außerdem laufend an besseren Rahmenbedingungen, auch finanziellen. In den letzten Jahren haben wir die Gehälter und Zulagen gezielt erhöht, um die Anforderungen vieler Bereiche besser abzubilden. Dazu gehören unter anderem erhöhte Sonn- und Feiertags- sowie Nachtdienstzulagen, zwei Gutstunden pro Nachtdienst und eine Einspringprämie für kurzfristige Zusatzdienste. Das entlastet im Alltag und zeigt Wertschätzung auf eine sehr konkrete Art und Weise.
Für das Jahr 2026 richten wir den Fokus weiter auf unsere bewährten Säulen: Mitarbeiterbindung, Verbesserung der Rahmenbedingungen, Recruiting, Aus- und Weiterbildung. Wir setzen auf flexible Arbeitszeitmodelle, fördern Fachkarrieren und ein durchlässiges Ausbildungssystem. Mit Talent- und Exzellenzprogrammen machen wir Potenziale sichtbar und schaffen Perspektiven. Unser Ziel ist ein Arbeitsumfeld, das Sicherheit, Planbarkeit und Wertschätzung vereint.
Ende des Vorjahres wurden Sie für weitere fünf Jahre als Generaldirektorin bestätigt. Wenn Sie auf das Jahr 2025 zurückblicken, welcher Moment war dann prägend und welche Ziele stehen für das Jahr 2026 im Fokus?
Für mich war der WIGEV-Award ein besonderer Moment. Zum zweiten Mal waren alle unsere rund 30.000 Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter dazu aufgerufen, eigene Projekte einzureichen, die den Alltag in unseren Kliniken und Einrichtungen verbessern. Dort sieht man sehr konkret, woran unsere Teams arbeiten. Es sind Lösungen, die Abläufe verbessern, die Versorgung stabilisieren oder Patienten in belastenden Situationen unterstützen.
Die eingereichten Projekte zeigen, wie pragmatisch und nah am Alltag unsere Mitarbeiter Herausforderungen aufgreifen und weiterentwickeln. Das zeigt, wie viel Know-how und Innovationskraft im Wiener Gesundheitsverbund steckt. Insgesamt war 2025 ein Jahr intensiver öffentlicher Diskussionen über das österreichische Gesundheitssystem.
Einzelne Fälle und strukturelle Fragen haben verdeutlicht, wie genau die Gesundheitsversorgung derzeit beobachtet und bewertet wird – und das ist auch richtig so. Gleichzeitig hat sich in vielen Situationen gezeigt, dass auf die Wiener Gesundheitsversorgung Verlass ist. Unsere Teams betreuen steigende Patientenzahlen in Ambulanzen, Notaufnahmen und auf den Stationen und bauen parallel neue Behandlungsangebote auf. Das beeindruckt mich persönlich immer wieder.
Foto: Felicitas Matern