HR-Expertin Marion Eppinger weiß, wie sich Personalabteilungen mit Mut und strategischem Denken zum echten Business Partner entwickeln können.
Die HR-Abteilung steht heute mehr denn je zwischen zwei Welten: dem operativen Dienstleister und dem strategischen Partner. Während der Workload steigt, Anforderungen oft unklar bleiben und technische Tools hinterherhinken, läuft HR Gefahr, seine eigentliche Rolle aus den Augen zu verlieren – nämlich aktiv an der Unternehmensstrategie mitzuwirken und echten Mehrwert zu schaffen.
„Strategisches HR braucht Zeit, Mut und Geduld. Veränderungen mitzugestalten ist der Schlüssel zum Erfolg.“
Doch woran scheitert es? Aus meiner Erfahrung liegt ein großes Frustpotential darin, dass HR stark rechtlich reglementiert ist, viele operative Aufgaben übernimmt und digital oft unzureichend ausgestattet ist. Ohne innovative, automatisierte Software versinken HRler*innen schnell im Admin-Sumpf. Dabei ist gerade jetzt der Moment, sich neu zu positionieren – als strategischer Sparringspartner für die Unternehmensführung.
HR Passionista Tipp:
Ich selbst hatte nie die perfekte HR-Software. Aber mein Team und ich haben Prozesse laufend optimiert und neu gedacht, um Raum für das Wesentliche zu schaffen: Menschen, Kultur und Strategie.
Wie gelingt der Wandel vom HR-Manager zum echten Business Partner? Eine Grundvoraussetzung ist, dass die Geschäftsführung an eine nachhaltige Personalpolitik glaubt und dafür einen Partner / eine Partnerin*in braucht, der oder die auf Augenhöhe Business Entscheidung mitgestaltet und bei der Umsetzung unterstützt.
Hier sind meine fünf Top-Skills, die ich über die Jahre gesammelt habe und die mir geholfen haben, strategisch noch stärker zu wirken:
1. Das Business verstehen
Strategisches HR beginnt mit echtem Interesse am Unternehmen. Ich habe mir Zeit genommen, mit Abteilungsleiter*innen zu sprechen, Prozesse zu beobachten und sogar Außendiensttermine zu begleiten. Mein damaliger Chef in England sagte: “You have to look into the eye of a customer to understand.”
Diese Nähe schafft Verständnis und auch Vertrauen. Wichtig: transparent kommunizieren, damit Mitarbeitende sich nicht „überwacht“ fühlen – sonst kippt die Stimmung schnell.
2. Beobachten, bevor man agiert
Als systemisch geprägter Mensch weiß ich: Veränderung braucht Achtung vor dem Bestehenden. Bevor ich Prozesse verändere, durchlaufe ich sie, analysiere sie und spreche mit jenen, die sie entwickelt haben. So entsteht nicht nur ein besseres Verständnis, sondern auch Mitgestaltung und damit Akzeptanz.
3. Mut und Hartnäckigkeit
HR bringt oft unbequeme Themen auf den Tisch. Das erzeugt Widerstand – verständlich, aber überwindbar. Ich wurde oft mit Ideen abgewiesen, doch habe gelernt: Dranbleiben lohnt sich. Wer mutig und hartnäckig wie ein „Wadlbeißer“ bleibt, verschafft sich Gehör. Veränderung entsteht durch Wiederholung und Präsenz.
4. Storytelling statt Zahlenfriedhof
Daten und Fakten sind wichtig – aber sie überzeugen selten allein. Ich bin überzeugt: HR braucht gute Geschichten. Beispiel: Als ich flexibles Arbeiten und Home Office etablieren wollte, stieß ich auf Ablehnung. Meine Story dazu: „Leben wir im Kommunismus? Eine Person macht einen Fehler – und 499 müssen büßen?“
Oder: „Home Office ist wie Ausgehen als Teenie – wenn man nur bis Mitternacht darf, nutzt man jede Minute. Hat man Narrenfreiheit, bleibt man freiwillig zuhause.“
Diese Bilder bleiben hängen – und öffnen Türen.
5. Systemische Perspektive einnehmen
Strategisches HR heißt auch: das Unsichtbare sichtbar zu machen. Ich arbeite mit Organisationsaufstellungen, um Blockaden zu erkennen, Widerstände zu verstehen und Lösungen zu entwickeln. Durch dieses Tool konnte ich HR neu denken – weg vom reinen Prozessmanagement hin zur Rolle als Kulturentwicklerin mit strategischem Einfluss. Mehr zur Aufstellungsarbeit findest du auf meinem Blog unter: “Aufstellungsarbeit entmystifiziert - meine Erfahrungen und das oft unterschätzte Potenzial. “
Mein Rat an Personalist*innen da draußen
Der Spagat zwischen Management und Mitarbeitenden ist oft eine echte Herausforderung. Doch wenn wir daran glauben, dass der Mensch im Mittelpunkt steht – und wir sowohl bewusste als auch unbewusste Dynamiken berücksichtigen – entsteht die Chance auf tiefes Verständnis und nachhaltige Verbindung.
Natürlich ist das keine Einbahnstraße: Auch unser Gegenüber muss offen sein. Doch wenn wir Herz und Hirn verbinden, das Business verstehen und gleichzeitig empathisch agieren, dann öffnen sich Türen - und manchmal sogar fest verschlossene Schlösser. Und ja – das braucht eine starke Persönlichkeit, viel Drive und Ausdauer.
Ich kann aus eigener Erfahrung sagen: Es lohnt sich. Wenn ehemalige Mitarbeitende Jahre später anrufen, um nach Rat zu fragen, dich weiterempfehlen oder einfach nur Danke sagen – dann weißt du, dass du deine Bemühungen etwas bewirkt haben.
Solche Erlebnisse motivieren mich jeden Tag aufs Neue aufzustehen und mich für eine Personalpolitik einzusetzen, die das Heute gestaltet und gleichzeitig die Grundlagen für eine lebenswerte Zukunft schaffen – für mein Kind, dessen Kinder und alle kommenden Generationen.
Hilfe holen ist ein Zeichen von Stärke
Strategisches HR braucht Zeit, Mut und Geduld. Veränderungen mitzugestalten ist der Schlüssel zum Erfolg. Dafür braucht es Präsenz in Management-Meetings, ein tiefes Business-Verständnis und den Willen, HR neu zu denken. Denn nur wer mit am Tisch sitzt, kann auch mitentscheiden.
Und wenn es mal zu viel wird? Dann gilt: Hilfe holen ist ein Zeichen von Stärke und Weitsicht. Ob durch Coaching, Supervision, Austausch im HR-Netzwerk oder einfach ein ehrliches Gespräch mit Kolleg*innen – niemand muss diesen Weg allein gehen. Denn auch das ist Teil einer neuen HR-Kultur: Miteinander statt gegeneinander.
Foto: Sebastian Judtmann