Prof. Elisabeth Stadler, CEO Vienna Insurance Group: Die Doyenne der Versicherungsbranche tritt ab

Elisabeth Stadler ist knapp 40 Jahre in der Versicherungsbranche tätig, seit 2016 leitet sie mit der Vienna Insurance Group die größte Versicherungsgruppe in Zentral- und Osteuropa.

 

Mit Ende Juni 2023 hat sie ihre aktive Berufslaufbahn beendet.  

Frau Stadler, sie haben jetzt über sieben Jahre die Vienna Insurance Group geleitet, würden Sie sagen es waren „glorreiche sieben Jahre“ für das Unternehmen und Sie? 

Persönlich war die Funktion als Vorstandsvorsitzende der führenden Versicherungsgruppe in Zentral- und Osteuropa ganz klar der Höhepunkt meiner langen Versicherungslaufbahn. Mein Ziel war es immer dafür Sorge zu tragen, dass wir dem uns gesetzten Anspruch gerecht werden, als stabiler und verlässlicher Partner gegenüber unseren Stakeholdern wahrgenommen zu werden. Ich denke das ist meinem Team und mir gut gelungen und das konnten wir mit der Entwicklung der wichtigsten Kennzahlen wie Prämie, Gewinn und Kapitalstärke der Gruppe verdeutlichen. Die Prämien und der Gewinn vor Steuern konnten in den letzten sieben Jahren jeweils um 38 % gesteigert werden, die Solvabilitätsquote der Gruppe liegt jetzt um fast 44 % über dem Wert von 2016.

Sie sind knapp 40 Jahre in der Versicherungsbranche tätig gewesen und betonen in Interviews, dass sie keinen Tag davon bereut haben. Was fasziniert sie an dieser Branche so?

Menschen gegen tägliche Risiken des Lebens finanziell abzusichern, sehe ich als wundervolle Aufgabe. Damit leisten Versicherungen auch einen wichtigen volkswirtschaftlichen Beitrag. Es war auch immer mein Engagement, in diese Richtung positiv zu wirken. Mathematik ist für mich eine persönliche Leidenschaft und war viele Jahre essentiell in meinem Beruf als studierte Versicherungsmathematikerin. Diese Leidenschaft mit dem Beruf verbinden zu können hat mich immer stark motiviert.  

Die Versicherungsbranche hat sich auch gerade in diesen schwierigen Zeiten als sehr stabil gezeigt. Sind Versicherungen tatsächlich der Fels in der Brandung? 

Natürlich wirken sich die geopolitischen und wirtschaftlichen Herausforderungen auch auf die Versicherungsbranche aus. Was sich aber während meiner langen Laufbahn gezeigt hat ist, dass sich die konservative und risikobewusste Vorgangsweise der Versicherungsbranche gerade in schwierigen Phasen positiv bemerkbar und bezahlt macht. Versicherungen zeigen hohe Resilienz und gerade in so herausfordernden Zeiten legen die Menschen besonderen Wert auf Sicherheit und Absicherung. 

Was waren die größten Veränderungen in der Branche der letzten Jahre? 

Das war zum einen sicher die digitale Transformation, die sich auf alle Bereiche unseres Geschäftsmodells auswirkt und andererseits die Auswirkungen der viele Jahre anhaltenden Niedrigzinsphase, die wir gut meistern konnten. Auch das Thema Nachhaltigkeit ist in den letzten Jahren besonders in den Fokus gerückt. Kunden, Geschäftspartner und Aktionäre verfolgen mittlerweile sehr genau, ob sich ihre Versicherung hier entsprechend zukunftsorientiert engagiert. 

Worin sehen sie die größten Herausforderungen der Versicherungsbranche in den nächsten Jahren?

Da steht für mich das Thema Nachhaltigkeit an vorderster Stelle. Ich denke der Klimawandel und seine Auswirkungen werden Treiber der globalen Risiken der nächsten Jahre sein. Wir wollen als VIG-Gruppe betreffend „ESG“ nicht nur im Umweltbereich Maßnahmen legen, sondern auch ganz bewusst Schwerpunkte im sozialen Bereich setzen und hier zum Beispiel bezahlbares Wohnen fördern. Wohnen ist ein absolutes Grundbedürfnis und wir alle sollten einen Beitrag dazu leisten, dass bezahlbares Wohnen nicht zur sozialen Frage unseres Jahrhunderts wird.

Fordern auch die Kunden von Ihnen grüne Produkte oder ist das noch kein Thema im Versicherungsvertrieb?

Wir registrieren eine steigende Nachfrage nach nachhaltigen Produkten im Veranlagungsbereich. Im Versicherungsbereich wird der Fokus auf fondsgebundene Lebensversicherungen gelegt, die einen Mehrwert für Umwelt und Gesellschaft bieten. In Österreich bemerken wir, dass bei unseren Gesellschaften nahezu jeder zweite Abschluss einer fondsgebundenen Lebensversicherung bereits auf Grund nachhaltiger Veranlagungskriterien erfolgt. Unsere österreichischen Gesellschaften bieten hier entsprechend erfolgreich Produkte an, die mit dem Österreichischen Umweltzeichen ausgezeichnet sind.

Sie waren die erste Frau an der Spitze eines ATX-Unternehmens und gelten nicht nur in ihrer Branche, sondern allgemein als Vorbild für Frauenkarriere. Wie sehen sie ihre Rolle?

Wenn ich ein Bild vermitteln möchte, dann ist es das einer selbstbewussten Frau, die in ihrem Metier fachliche Kompetenz besitzt und deshalb anerkannt und geschätzt wird. Ich habe immer betont, dass keine Frau in eine Führungsposition kommen möchte, nur weil sie eine Frau ist.   

Was muss aus Ihrer Sicht eine Frau tun, um eine Topposition zu erreichen? Haben Sie einen Karrieretipp?

Karriere muss schon mit viel Ehrgeiz und Engagement über Jahre hinweg erarbeitet werden. Das ist ein lang andauernder Prozess und ergibt sich nicht von heute auf morgen. Für mich sind Kompetenz, sowohl fachlich als auch sozial, Leadership und strukturiertes Denkvermögen jene Eigenschaften, die für eine Führungsposition zählen. Diese Eigenschaften gelten für Männer genauso wie für Frauen. Ich stelle fest, dass sich Frauen oft selbst im Weg stehen, weil sie nicht genug Selbstvertrauen haben, was manche davon abhält, Karriere zu machen. Deshalb würde ich jungen Frauen raten, Mut zu haben und selbstbewusst zu sein. Frauen sollten öfter „Ja“ sagen und die Courage haben, etwas auszuprobieren.

Sie beenden mit Mitte des Jahres 2023 ihre Funktion als CEO der Vienna Insurance Group, aber sie werden sich nicht völlig aus dem Wirtschaftsleben zurückziehen, oder?

Ich beende meine operative Laufbahn in der Versicherungsbranche, behalte aber einige Aufsichtsratsmandate in der Gruppe und ich habe den Vorsitz des Aufsichtsrates der Post übernommen und übe auch weiterhin meine Aufsichtsratsmandate in der OMV und der Voest aus. Ich bin Vizepräsidentin des Österreichischen Roten Kreuzes und habe auch Funktionen im Kulturbereich. Alles sehr spannende und wichtige Aufgaben, die dafür sorgen werden, dass ich keineswegs untätig sein werde. Aber natürlich möchte ich nach 40jähriger Tätigkeit in der Versicherungsbranche auch ein wenig mehr Zeit für mich persönlich haben. 

Foto: Philipp Lipiarski


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