EU-Spezial: Karoline Graswander-Hainz, SPÖ: Wir müssen die Europäische Union greifbar machen

Die Tirolerin ist seit bald fünf Jahren Abgeordnete zum Europäischen Parlament. Sie tritt zwar nicht mehr zur Wahl an, bleibt aber weiter politisch aktiv – als SPÖ-Bezirksparteivorsitzende in Imst.

 

Woran denken Sie, wenn Sie „Europäische Union“ hören?

Die Erkenntnis, dass wir die großen Herausforderungen heute nur noch gemeinsam bewältigen können. Frieden, Klimaschutz, Demokratie - Wenn wir das in Europa erhalten und durchsetzen wollen, müssen wir uns trotz all unserer Gegensätze zusammentun. Das drückt sich ja auch im Motto der EU aus, „in Vielfalt geeint“. 

Mit welchen politischen Themen beschäftigen Sie sich?

Ich habe mich in den letzten Jahren vor allem für eine grundlegend andere Handelspolitik eingesetzt. Während in schönen Reden und Broschüren immer die Wichtigkeit von Nachhaltigkeit, Menschenrechten und Umweltschutz betont wird, sucht man diese Ziele in den konkreten Politikvorschlägen oft vergeblich. Ich will, dass endlich alle von unseren Handelsabkommen profitieren, nicht nur die großen Konzerne.

Wenn die Umwelt verschmutzt wird oder Arbeiter ausgebeutet werden, dann gibt es nicht mehr als eine Ermahnung. Aber für Unternehmen die investieren, richten wir eigene Gerichtshöfe ein? Das ist unfair, das muss sich endlich ändern. Von einer fairen Handelspolitik könnten nämlich alle profitieren – die Beschäftigten, die Unternehmen, unsere Handelspartner und wir. 

In welchen Bereichen sehen Sie die größten Herausforderungen für die EU?

Der aufkommende Nationalismus ist sicher die größte Bedrohung für die EU. Viele Menschen haben vergessen, wofür wir diese Gemeinschaft gegründet haben. Ein Leben in Frieden und Wohlstand erscheint für manche vielleicht selbstverständlich, aber dafür müssen wir jeden Tag arbeiten. Der Brexit lehrt uns aber auch, dass wir das soziale Fundament in Europa stärken müssen.

Denn die zunehmende Spaltung, die Schere zwischen Arm und Reich und der Ton in der öffentlichen Debatte, der immer rauer wird, treiben einen Keil in unsere Gesellschaft. Als Imster EU-Abgeordnete sehe ich es auch als Teil meiner politischen Tätigkeit, den Menschen den Mehrwert der EU-Mitgliedschaft möglichst in ihrer eigenen Region zu zeigen. Die Europäische Union greifbarer zu machen ist sicher nicht die einfachste Aufgabe, aber wichtiger denn je.

Die Philosophie Ihrer politischen Arbeit?

Ich will mir selbst treu bleiben. Man muss den Menschen zuhören und ihre Anliegen ernstnehmen. Das heißt aber nicht ihnen „nach dem Mund zu reden“. Sondern ehrliche Lösungen anbieten und zwar auf Basis von Fakten und unter Einbindung möglichst vieler.

Setzen Sie sich dafür ein, dass mehr Frauen in der Politik aktiv werden?

In unserer Landesfrauenorganisation setze ich mich für die Förderung von Frauen in der Politik ein. Es gibt viele talentierte und engagierte Frauen bei uns, die will ich vor den Vorhang holen. Aber auch wenn sich das Frauenbild in den letzten Jahren verbessert hat und auch im Bereich der Gleichstellung einiges weitergegangen ist, stoßen Frauen immer wieder an unsichtbare Grenzen, müssen mit Stereotypen und Diskriminierung kämpfen.

Ich bin von der Notwendigkeit von verpflichtenden Quoten in der Politik und der Wirtschaft überzeugt. Und junge Frauen und Mädchen brauchen starke selbstbewusste Vorbilder in allen Lebensbereichen. Dass Frauen in den letzten Jahren viel offener auf das Machtungleichgewicht zwischen den Geschlechtern hinweisen, halte ich für eine gute Entwicklung.

Warum gibt es im EU-Parlament noch immer deutlich weniger weibliche Abgeordnete?

Die politische Kultur ist bis heute von Männern geprägt. Politikerinnen müssen sich überlegen, wer die Kinder vom Hort abholt. Politikerinnen müssen sich ständig Fragen zu ihrem Privatleben, ihrer Frisur und ihrem Outfit gefallen lassen. Und für eine Politikerin wird es immer als großes Hindernis gesehen, Mutter zu werden. Einen Politiker fragt niemand, wie er das alles unter einen Hut bekommen will, wenn er Vater wird.

Da gibt es noch sehr viel zu tun. Aber auch die Frauen müssen sich mehr zutrauen, müssen nach vorne drängen. Nur dann können wir die Männerdomäne auch aufbrechen. Die Männer halten da natürlich auch zusammen. Vielleicht nicht bewusst, nicht mit Absicht, aber Männernetzwerke funktionieren bis heute. Und so wie sich der Ton in der politischen Debatte teilweise noch weiter verschlechtert, macht die Politik auch nicht gerade gute Werbung für sich selbst.

Interessieren sich die Österreicher für die EU-Wahl? Wie wird die Wahlbeteiligung?

Ich glaube daran, dass die Wahlbeteiligung steigen wird. In den letzten Jahren war die EU bei Themen wie dem Brexit oder Flüchtlingsbewegungen viel präsenter als früher. Das sind nicht immer die Wohlfühlthemen, aber die Menschen merken, dass auf EU-Ebene Entscheidungen fallen, die ihren Alltag direkt betreffen. Und nur wenn sie sich an der EU-Wahl beteiligen, können sie darauf Einfluss nehmen.

Foto: Juha Roinnen


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